Mit Urteil vom 19. September 2013 – B 3 KR 8/12 R – hat das Bundessozialgericht (BSG) einem aus einem Krankenhaus ausgegliederten Therapiezentrum die Zulassung zur Erbringung physiotherapeutischer, ergotherapeutischer und logopädischer Leistungen nach §124 Absatz 2 SGB V verweigert. Nach Auffassung des BSG handelt es sich bei dem Therapiezentrum um eine Einrichtung, die überwiegend stationär tätig werde. Das verstoße gegen den Grundsatz der Trennung zwischen ambulanter und stationärer Leistungserbringung. Die von dem Krankenhausträger vorgenommene Ausgliederung (Outsourcing) des Therapiezentrums sei rechtswidrig, da sie ausschließlich dazu diene, dem Krankenhaus unberechtigte Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Die Argumentation des BSG überzeugt nicht. Wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung für die deutsche Krankenhauslandschaft widmet fw dem BSG-Urteil zwei Beiträge: In dieser Ausgabe befasst sich der Autor mit der Zulassung des Therapiezentrums nach §124 Absatz 1 SGB V. Der Folgebeitrag in fw 4/2014 behandelt die (Un-)Zulässigkeit des Outsourcings.
Klägerin des Ausgangsverfahrens ist ein Therapiezentrum, das auf dem Gelände eines Krankenhauses angesiedelt ist und für dessen Patienten Heilmittel in Form von Physiotherapie-, Logotherapie- und Ergotherapieleistungen anbietet. Rechtsform ist eine GmbH, deren Alleingesellschafter der Krankenhausträger ist. Nach dem Gesellschaftsvertrag erbringt die Klägerin sämtliche Leistungen für stationär behandelte Patienten des Krankenhauses sowie zusätzlich für teilstationär und ambulant versorgte Patienten und Kunden im Sinne eines Zentrums für Prävention, Therapie und Rehabilitation.
Den Antrag auf Zulassung zur Erbringung physiotherapeutischer, ergotherapeutischer und logopädischer Leistungen nach §124 Absatz 2 SGB V reichte die Klägerin im Jahre 2006 ein. Die Knappschaft hatte keine Einwände und erteilte die Zulassung. Anders die AOK Baden-Württemberg – die Gesundheitskasse –, die den Antrag mit Rücksicht auf die Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen und des Rahmenvertrags nach §125 SGB V ablehnte. Danach müsse der fachliche Leiter die Heilmittel überwiegend ambulant abgeben. Seine übrige Erwerbstätigkeit müsse zurücktreten. Das sei hier erkennbar nicht der Fall. Im Übrigen seien die räumlichen und personellen Mittel nicht hinreichend abgegrenzt.
Rechtsstreit: stationäre oder ambulante Leistungen?
Der Fall ging zunächst vor das Sozialgericht Heilbronn, das der Klage des Therapiezentrums stattgab. Auf die Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg wurde die Klage abgewiesen, weil ein Zulassungsanspruch der Klägerin nach §124 Absatz 2 SGB V nicht bestehe.
Nach der Auffassung des LSG Baden-Württemberg entspricht der Betrieb der Klägerin nicht dem herkömmlichen Berufsbild des in eigener Praxis selbstständig tätigen Heilmittelerbringers im Sinne des §124 Absatz 2 SGB V. Sowohl das Personal wie auch die Praxis der Klägerin würden vorrangig stationärer Heilmittelversorgung dienen. Die ambulanten Leistungen des Therapiezentrums seien lediglich eine Art „Annex", was dem Berufsbild eines Heilmittelerbringers widerspreche.
Das BSG hat sich im Urteil vom 19. September 2013 (– B 3 KR 8/12 R –) der Auffassung des LSG angeschlossen und zusätzlich ausgeführt: Bei dem Therapiezentrum handele es sich um eine Einrichtung, die „überwiegend stationäre Leistungen" erbringe. Damit fehle es an der Zulassungsvoraussetzung des §124 Absatz 2 Nr. 2 SGB V, die eine auf den ambulanten Bereich ausgerichtete „Praxisausstattung" verlange. Die Klägerin biete dagegen ihre Leistungen überwiegend stationär an. Das widerspreche der im SGB V vorgenommenen grundsätzlichen Trennung zwischen ambulanter und stationärer Leistungserbringung, die auch im Heilmittelbereich angeordnet sei.
Die Erteilung der Zulassung nach §124 Absatz 2 SGB V könne außerdem nicht mit dem Ziel beansprucht werden, „durch Ausgliederung des gesamten Heilmittelbereichs aus dem Krankenhaus und Verlagerung auf eine externe Einrichtung ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile zu realisieren" (BSG, a.a.O., Rn. 33). Mit der vollständigen Ausgliederung des Heilmittelbereichs aus dem Krankenhaus auf das Therapiezentrum und der damit verbundenen „jahrelangen rechtswidrigen Abrechnungspraxis" hätten die Beteiligten (Krankenhaus und Therapiezentrum) „unter Umgehung der gesetzlichen Vorschriften" letztlich das Ziel verfolgt, für die Heilmittelerbringung im ambulanten Bereich eine höhere Vergütung zu erzielen. Das liege an den unterschiedlichen Verträgen, die mit den Krankenkassen hinsichtlich der Vergütung abgeschlossen worden seien. Einem solchen Streben nach „unberechtigten Wettbewerbsvorteilen" dürfe nicht durch die Erteilung einer Zulassung nach §124 Absatz 2 SGB V zur Durchsetzung verholfen werden.
Das BSG verneint abschließend einen grundrechtlichen Anspruch des Therapiezentrums auf die Heilmittelzulassung (BSG, a.a.O., Rn. 38):
„Eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition kann sich nur in dem Maße ergeben, wie Betätigungs- und Kooperationsmöglichkeiten gesetzlich vorgesehen sind und damit eine legalisierte Betätigung vorliegt."
Neue, gesetzlich nicht vorgesehene Kooperations- oder Betätigungsmöglichkeiten zur Leistungserbringung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) könnten nicht aus der Verfassung abgeleitet werden. Mit Rücksicht darauf lehnt das BSG bereits einen „Eingriff" in die aus Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz (GG) grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit ab:
„Dies würde voraussetzen, dass sich der Grundrechtsträger selbst regelkonform verhält und die gesetzlich vorgeschriebenen Wege zur Erlangung seiner Zulassung einhält."
Das sei hier aufgrund der Konstruktion über die Ausgliederung des Heilmittelbereichs auf das Therapiezentrum und die darauf gestützte Abrechnungspraxis des Krankenhauses nicht der Fall.
Gesetzlicher Rahmen zur Zulassung von Heilmittelerbringern
Bevor auf die Stichhaltigkeit der Argumentation des BSG sowohl in einfach-rechtlicher als auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht einzugehen ist, gilt es, sich den gesetzlichen Rahmen der Zulassung von Heilmittelerbringern als Leistungserbringer im Sinne des SGB V vor Augen zu führen. Gemäß §124 Absatz 2 Satz 1 SGB V ist zur Versorgung mit Heilmitteln nur zuzulassen, wer
- die für die Leistungserbringung erforderliche Ausbildung sowie eine entsprechende zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis besitzt,
- über eine Praxisausstattung verfügt, die eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung gewährleistet und
- die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkennt.
§124 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V alte Fassung, der eine nachgewiesene berufspraktische Erfahrung von mindestens zwei Jahren, die innerhalb von zehn Jahren vor Beantragung der Zulassung in unselbstständiger Tätigkeit und in geeigneten Einrichtungen abgeleitet worden sein muss, voraussetzte, wurde durch SGB IX – Gesetz zur Änderung von Fristen und Bezeichnungen im Neunten Buch Sozialgesetzbuch und zur Änderung anderer Gesetze (FristÄndG, 2003) – aufgrund erkennbarer Europarechtswidrigkeit aufgehoben.
Es ist in Rechtsprechung und Literatur unstreitig, dass Antragsteller, die die Voraussetzungen nach §124 Absatz 2 Satz 1 SGB V erfüllen, einen Rechtsanspruch auf die Zulassung zur Abgabe von Heilmitteln haben. Die Bestimmung des §124 Absatz 2 SGB V ist als abschließende Regelung zu verstehen, wobei zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Voraussetzungen zu unterscheiden ist: Zunächst geht es um die Erfüllung der (gesetzlichen) Voraussetzungen des §124 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 (berufsrechtliche Erlaubnis), Nr. 2 (Praxisausstattung) und Nr. 3 (Anerkennung der Vereinbarungen). Als ungeschriebene Zulassungsvoraussetzung ist darüber hinaus (ausschließlich) die Frage der Zuverlässigkeit des Erbringers von Heilmittelleistungen anerkannt. Insoweit muss es sich um grobe Pflichtverletzungen handeln, die einer Zulassung entgegenstehen. Keine Zulassungsvoraussetzung ist eine – wenn auch von den Krankenkassen immer wieder gewünschte – Bedarfsprüfung. Das ist mit Rücksicht auf den Grundsatz der Berufsfreiheit nach Artikel 12 Absatz 1 GG unzulässig.
BSG verkennt Inhalt und Gegenstand des Antrags des Therapiezentrums
Das BSG verneint den Anspruch des Therapiezentrums auf Zulassung nach §124 Absatz 2 SGB V mit dem Argument, dass es „keine Praxis zur ambulanten Heilmittelerbringung betreibe" (BSG, a.a.O., Rn. 20). Es geht also nicht – wie es das LSG Baden-Württemberg noch annahm – um den Versagungsgrund der „Praxisausstattung" (§124 Absatz 2 Nr. 2 SGB V), sondern um den Praxisbetrieb. Damit beanstandet das BSG die „betriebliche Ausrichtung" und den Zweck des Praxisbetriebs. Nur vor diesem Hintergrund ist verständlich, warum das BSG argumentiert, eine nach §124 Absatz 2 SGB V zugelassene Heilmittelpraxis dürfe nicht „überwiegend stationäre Leistungen" erbringen. Daraus zieht das BSG – für den Heilmittelbereich – den Schluss, die Leistungserbringer müssten entsprechend ihrem Schwerpunkt entweder als Leistungserbringer in der stationären oder in der ambulanten Versorgung tätig sein.
Mit einer solchen Argumentation wird grundlegend der Antrag – und damit der Gegenstand des Rechtsstreits – verkannt, den das Therapiezentrum im Jahre 2006 gestellt hat und der im Hinblick auf die Zulassung nach §124 Absatz 2 SGB V anhand der abschließend aufgeführten Merkmale der gesetzlichen Regelung zu prüfen war. Dieser Antrag zielte nicht auf eine ambulante und stationäre oder gar eine „überwiegend stationäre" oder eine sonstige „gemischte" Heilmittelversorgung. Beantragt wurde ausschließlich die ambulante Leistungserbringung in den dafür vorgesehenen Räumen und mit dem dafür überlassenen Personal und sonstigen sächlichen Mitteln. Diesem Antrag war stattzugeben, da die von der beklagten AOK Baden-Württemberg dagegen eingewendeten Bestimmungen der Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen und des Rahmenvertrags nach §125 SGB V vor dem Hintergrund der abschließend aufgeführten Voraussetzungen in §124 Absatz 2 Satz 1 SGB V – auch nach der Rechtsprechung des BSG – keine Berechtigung haben.
Grundsätzliche Trennung von ambulant und stationär kein Ablehnungsgrund
Auch im Übrigen irrt das BSG, wenn es meint, den aus §124 Absatz 2 Satz 1 SGB V nicht ableitbaren Versagungsgrund der „überwiegend stationären Praxis" auf das Sektorensystem des SGB V zurückführen zu können:
Es ist schon einfach-rechtlich außerordentlich fragwürdig, ob das SGB V angesichts der zahlreichen Durchbrechungen im Bereich der „Integrierten Versorgung" (IV), der Zulassung des medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) und der zunehmenden Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung noch von dem Gebot einer strikten Trennung der Leistungsbereiche geprägt ist.
Ein solcher „Trennungsgrundsatz" ergibt sich auch nicht im Heilmittelbereich, in dem mit den Bestimmungen des §124 Absatz 2 und Absatz 3 SGB V differenzierende Regelungen getroffen werden. Insbesondere ergibt sich aus der gesetzlichen Zulassung von Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen gemäß §124 Absatz 3 SGB V nicht, dass den „stationären Einrichtungen" die ambulante Leistungserbringung lediglich „quasi nebenbei" oder als „Annexkompetenz" eingeräumt sei (so aber BSG, a.a.O., Rn. 23).
Mit §124 Absatz 3 SGB V werden Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen umfassend zur Abgabe von Heilmitteln an Versicherte der GKV zugelassen. Die gesetzliche Zulassung verschafft ihnen die Berechtigung, mit der zuständigen Krankenkasse abzurechnen. Die entsprechende Geltung des §124 Absatz 2 SGB V für stationäre Einrichtungen bedeutet, dass zwar keine Zulassungsentscheidung erforderlich ist, dass aber eine Abrechnung der erbrachten Leistungen mit den Krankenkassen nur bei Vorliegen der Zulassungsbedingungen entsprechend den Verträgen erfolgen kann. Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen sind deshalb kraft Gesetzes zur Abgabe von Heilmitteln zugelassen, unabhängig davon, ob sie „ambulant" oder „stationär" tätig werden. Im Unterschied dazu ist die Zulassung der Einrichtung oder des Berufsangehörigen im Sinne des §124 Absatz 1 SGB V auf die Abgabe ambulanter Heilmittel gemäß §124 Absatz 2 SGB V beschränkt. Die Reichweite der Zulassung erfasst damit nicht den „stationären Bereich", wenngleich der Inhaber der Zulassung dadurch nicht gehindert wird, gegebenenfalls auch Patienten und gesetzlich Versicherte mit Heilmitteln zu versorgen, die im Krankenhaus oder in einer Reha-Einrichtung stationär versorgt werden.
Verfassungswidrige Beschränkung der Berufsfreiheit
Die Versagung der Zulassung des Therapiezentrums als Heilmittelerbringer nach §124 Absatz 2 SGB V stellt zugleich eine verfassungswidrige Beschränkung des Grundrechts der Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG) dar. Das folgt aus dem in Artikel 12 Absatz 1 Satz 2 GG niedergelegten Regelungsvorbehalt, wonach die Berufsfreiheit nur per Gesetz eingeschränkt werden kann. Ein solches Gesetz muss hinreichend bestimmt Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lassen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit sind umso größer, je intensiver in die Berufsfreiheit eingegriffen wird.
Diesen Anforderungen genügt der Versagungsgrund einer „überwiegend stationären Tätigkeit" nicht. Er findet sich weder explizit in §124 Absatz 2 SGB V, noch lässt er sich daraus – mit hinreichender Bestimmtheit – ableiten. Bereits das Merkmal der „überwiegenden Leistungserbringung" (in dem einen oder anderen Bereich) ist so unbestimmt, dass sich daran keine die Berufswahl regelnde Zulassung messen lassen kann.
Im Übrigen benennt das BSG keine „wichtigen Gemeinschaftsgüter", die zum Schutze der nach §124 SGB V zu erteilenden Erlaubnis gefordert sind. In Betracht kommen allein höhere Vergütungen, die die Krankenkassen bei statio-närer Tätigkeit an den Leistungserbringer zu zahlen hätten. Solche finanziellen Mehrbelastungen einer Krankenkasse stellen ersichtlich kein „wichtiges Gemeinschaftsgut" dar.
Darüber hinaus widerspricht die Verweigerung der Zulassung des Therapiezentrums als Heilmittelerbringer dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der auch im Rahmen des §124 Absatz 2 SGB V anzuwenden ist. Zur Vermeidung einer „überwiegend stationären Abgabe von Heilmitteln" könnte die Zulassung mit der Einschränkung versehen werden, dass Heilmittel ausschließlich ambulant abgegeben werden dürfen. Wenn – so das BSG – nur eine „überwiegende" Leistungserbringung im stationären Bereich vermieden werden soll, könnte dies durch entsprechende Fallzahlbeschränkungen oder Ähnliches sichergestellt werden.
Die gänzliche Versagung der Zulassung nach §124 Absatz 2 SGB V schießt jedenfalls über solche – verhältnismäßige – Beschränkungen hinaus. Auch insoweit kann das Urteil des BSG vom 19. September 2013 keinen Bestand haben.