Dreimal ist die SPD mit der „Bürgerversicherung“ in den Wahlkampf gezogen. Ein Erfolgsschlager wurde das nicht. Dennoch zieht sie zum vierten Mal mit dem Versprechen in die Wahl, die private Krankenversicherung in einer einheitlichen gesetzlichen Versicherung aufgehen zu lassen. Derzeit sieht es nicht danach aus, als ob die Sozialdemokraten allein oder mit Linken und Grünen im Oktober in der Lage wären, das Projekt wahr zu machen. Mit der Union wird daraus nichts. Die SPD sucht mit der Bürgerversicherung dem eigenen Klientel eine sinnstiftende Parole zu bieten. Bürgerversicherung 4.0? Mobilisiert wird nicht nur die eigene Anhängerschaft. Automatisch ruft sie jene auf den Plan, die unter dem Vorhaben zur Einheitsversicherung als Erste leiden dürften: Als da wären Ärzte und Zahnärzte, auch jene, die in Krankenhäusern mit Privatpatienten lukrative Leistungen abrechnen.
Besonders hart hat der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, wieder mit der Bürgerversicherung abgerechnet. Mit dem Ruf nach mehr Gleichheit und Gerechtigkeit auf den Lippen würden die Verfechter der einheitlichen Versicherung der Zwei-Klassen-Medizin erst zum Durchbruch verhelfen. So würden sie genau das tun, was abzuschaffen sie vorgäben. Montgomerys Argument geht etwa so: Niemand werde sich eine bessere Versorgung entgehen lassen, wenn er sich sie leisten könne. Auf die Bürgerversicherung mit ihren begrenzten Leistungen werde eine Flut von Angeboten für jene folgen, die dafür zahlen wollten. Nichts sagte Montgomery dazu, dass auch die Ärzte selbst erhebliche Einbußen erleiden könnten, würden die links-grünen Pläne Wirklichkeit.
SPD, Linke und Grüne wollen die Privatversicherung austrocknen, Neukunden nicht zulassen. Zudem sollen Privatversicherte in die Bürgerversicherung wechseln können. Das dürfte eine Sogwirkung entfalten, erst recht, wenn sie die Alterungsreserven mitnehmen dürften. Der Markt der Privatversicherten würde erheblich schrumpfen – und damit die Einkommen der Ärzte. Dabei geht es nicht um Kleinkram. Das hat der Verband der privat-ärztlichen Verrechnungsstellen nachrechnen lassen. Sechs Milliarden Euro weniger allein in der ambulanten Behandlung führten zu einer „Bedrohung der medizinischen Infrastruktur“. Wenig sei von Zusagen zu halten, Mindereinnahmen bei den Privatpatienten würden durch höhere Entgelte der Bürgerversicherung ausgeglichen. Eine einheitliche Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ) dürfte sich eher an Komplexpauschalen als an Einzelleistungen orientieren, mithin eher am Muster des von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gesteuerten Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) als an einer von der Ärztekammer gepflegten GOÄ.
Hier liegt ein weiterer Grund für Montgomerys Unwohlsein. Heute verhandelt die Ärztekammer die Gebührenordnung mit der Privatversicherung. Entfiele die Aufgabe mangels Privatversicherung und Gebührenordnung, würde die Bedeutung der Bundesärztekammer in der Gesundheitspolitik weiter schwinden – ist sie doch heute schon nicht an wichtigen Entscheidungen zur Versorgung im Gemeinsamen Bundesausschuss beteiligt. Montgomerys Tiraden über die Bürgerversicherung als Vorlage zur Einführung der Zwei-Klassen-Medizin ist nicht nur der Versuch, die Einkommensinteressen der Ärzte zu wahren, sie sollen auch die eigene Institution schützen.