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Mit Kollege Roboter im Dauereinsatz

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  • 28.08.2019

f&w

Ausgabe 9/2019

Seite 846

Die Rehabilitation ist das klassische Einsatzgebiet für moderne Robotik. Laut Experten profitieren davon vor allem Rehabilitanden in der Neurologie, da sie mithilfe der Technologie intensiver und zielgerichteter ihre Bewegungen trainieren können. 

Der Lokomat Pro ist so etwas wie der Verkaufsschlager unter den Robotern im Gesundheitswesen. Rund 800.000 Mal ist das Trainingsgerät bereits an Kliniken verkauft worden, berichtete Dr. Thierry Keller, Direktor der Abteilung Rehabilitation bei der spanischen Firma Tecnalia und einer der Plenarredner beim Reha-Kolloquium in Berlin. Der Lokomat Pro ähnelt einem Laufband, auf dem der Rehabilitand mit Gurten und Schlaufen – ähnlich wie ein Kletterer – aufgehängt und gesichert ist. Ein Exoskelett umfasst Knie und Hüften, in dem Elektromotoren darin feindosiert den Takt vorgeben. Vor allem Rehabilitanden der Neurologie profierten davon, wenn sie mithilfe der Robotik das Gehen wieder trainieren. „Es geht darum, die Bewegungsfolge stur abzuarbeiten. Die Therapie erfolgt dadurch intensiver und zielgerichteter“, sagt Keller.

Weltweit sei die Nachfrage nach robotergesteuerten Geräten für das Gesundheitswesen gestiegen. China beispielsweise, so der Diplom-Ingenieur, wolle mit moderner Robotik sein Gesundheitswesen auf ein westliches Niveau bringen. Im europäischen Raum sind insbesondere Frankreich und Türkei offen dafür. In Deutschland werden robotergestützte Systeme zwar für Therapien eingesetzt, einheitliche Regelungen für die Vergütung der Leistungen sowie der Investitionen gibt es aber noch nicht. Der Lokomat Pro zum Beispiel kostet laut Keller bis zu 250.000 Euro. Hinzuzurechnen seien zudem jährliche Wartungskosten von etwa zehn Prozent der Summe.

Bislang sind die Hauptabnehmer in Deutschland Klinikketten, die sich auf Neurorehabilitation oder orthopädische Rehabilitation spezialisiert haben. Dort trainieren dann die Rehabilitanden mit Querschnittslähmungen oder nach einem Schlaganfall mit dem Kollegen Roboter im Dauereinsatz. Das Gerät sorgt für die immer gleichen Bewegungen, ohne zu ermüden, penibel darauf achtend, dass die Bewegung richtig ausgeführt wird. „Das können Physiotherapeuten mit einer manuellen Therapie gar nicht gewährleisten“, sagt Keller im Gespräch am Rande des Reha-Kolloquiums in Berlin.

Teil des unternehmerischen Selbstverständnisses

„Alle Investitionen in die Robotik sind kostspielig. Wir tätigen sie wohlüberlegt“, sagt Dr. Kerstin Eisenbeiss, geschäftsführende Direktorin bei den Schön Kliniken. Bereits seit 18 Jahren sind am Standort in Bad Aibling Trainingsroboter im Einsatz. Das familiengeführte Unternehmen war die erste Klinik in Deutschland, die damals das Exoskelett EKSO Bionics angeschafft hatte. Unterm Strich sprachen drei Gründe für die Investition: Mit der Spezialisierung in der Neurologie gehörte ein zentrales Einsatzfeld der Robotik bereits zum eigenen Profil. Zudem sei es Teil des unternehmerischen Selbstverständnisses, so Eisenbeiss, am Puls der Zeit zu sein und Innovationen frühzeitig den Patienten anbieten zu können. Und drittens galt es, „für die Patienten mithilfe der Robotik die Grenzen des Möglichen im Therapiebereich zu verschieben“.

„Wir wenden die Robotik in der Neurologie an, vor allem bei Patienten mit Querschnittslähmungen, Armlähmungen, Lähmungen nach Nervenschäden sowie bei Schlaganfallpatienten“, sagt Dr. Friedemann Müller, Neurologe und Chefarzt der Klinik Bad Aibling Harthausen. Querschnittsgelähmte erlebten beispielsweise wieder, wie sich das Stehen und das Gehen anfühlen. Und das stärkt die Zuversicht und Lebensqualität der Patienten. Müller: „Robotik ermöglicht dem Patienten Bewegungen, die er ohne diese Technik nicht oder nur sehr schwer durchführen könnte.“ So sei damit möglich, intensiver und deutlich häufiger in der gleichen Zeit zu trainieren. Die Bewegungsabläufe seien systematischer und geregelter, als wenn sie nur manuell angeleitet werden. Und zudem werden, so Müller weiter, die Bewegungen optimal an den Patienten angepasst, denn für jede Trainingseinheit wird die Robotertechnologie individuell eingestellt. Der Neurologe ist überzeugt, dass die technischen Innovationen bei der Verknüpfung von Bewegung und Gehirn noch lange nicht ausgeschöpft sind: „Die Bandbreite der Krankheitsbilder, die von robotergestützter Therapie profitieren können, ist groß.“

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Eine, die die ganze Bandbreite an Innovationen kennt, ist Professorin Dr. Catherine Disselhorst-Klug von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen. Die Abteilungsleiterin, die selbst Physik und Elektrotechnik studiert hat, erforscht seit Jahren die Anwendungsgebiete von Rehabilitations- und Präventionstechnik. Sie legt Wert darauf, robotergestützte Technik von technischen Assistenz-Systemen abzugrenzen. Denn: Nur Roboter können sich selbst steuern, eigenständig agieren, die Rehabilitanden in ihren Bewegungen überwachen und auch korrigieren. Genau das macht sie für den therapeutischen Einsatz so wertvoll: „Die ständigen Wiederholungen sorgen für neue Synapsen im Gehirn, regen Nervenzellen und Gehirnareale an. Die Wirksamkeit geht auf die Anpassungsfähigkeit des Gehirns zurück. Der Roboter gibt die nötigen Impulse, um die Beine zu bewegen und die Zellen im Hirn werden darüber neu programmiert“, sagt sie.

Technologie kann Lücken füllen

In der Neurorehabilitation werden bislang zwei Arten von roboterbasierten Therapiesysteme eingesetzt: Exoskelett-basierte Technologie – wie etwa der Lokomat – wird an den Körper des Patienten angepasst und bewegt dessen Arme und Beine direkt. Patienten autonome (endeffektor-basierte) Technologie hingegen setzt beim letzten Glied der Bewegungskette an, unterstützt beispielsweise nur das Handgelenk und der Patient muss aus eigener Kraft seinen Arm bewegen, was seine Koordination zusätzlich schult.

Wird Kollege Roboter bald die Aufgaben des Therapeuten übernehmen? „Die Technologie kann Lücken in der Behandlung füllen, die aufgrund des Fachkräftemangels jetzt schon bestehen“, sagt Disselhorst-Klug. Schließlich müssen viele Rehabilitanden nicht nur drei Wochen, sondern ein Leben lang unterstützt werden. Klar sei aber auch: „Nicht jeder Patient braucht die Robotik und kann sie für sich nutzen.“ Im Rahmen einer Rehabilitation sei es daher entscheidend, vorab die Ziele zu definieren, die sich der Einzelne für das Training setzt. Den Kliniken empfiehlt sie, sich darauf einzustellen, dass ihre Rehabilitanden unterschiedliche Erwartungen haben und auch über verschiedene Konstitutionen verfügen. Während der eine zufrieden ist, wieder eigenständig seine Kaffeetasse halten zu können, will die andere trotz ihrer Erkrankung beweglicher werden und eigenständig leben können. Und wer beispielsweise mit einer robotergesteuerten Gehhilfe wieder aufrecht gehen will, muss nicht nur einen starken Willen haben, sondern auch kräftige Oberarmmuskeln für die Gehstützen.

Der Grad der Motivation aber sei nicht nur eine Frage des Alters, sondern vor allem auch die eines ansprechenden Angebots: „Im Trend sind robotergesteuerte Systeme, die spielerisch gestaltet sind und ihrem Gegenüber auch ein Feedback geben können, wie gut er die Bewegung ausgeführt hat.“ Ihr Institut arbeitet aktuell in einem Konsortium aus universitären Instituten, Industrie und Rehabilitationszentren mit. Unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung soll ein Rehabilitationsroboter entwickelt werden, der den Patienten individuell trainiert – ohne dass ein Therapeut dabei sein muss.

„Robotik ersetzt keine Therapeuten“, ist hingegen die Erfahrung von Direktorin Eisenbeiss von den Schön-Kliniken. Die hoch spezialisierten Geräte erfordern vielmehr die qualifizierte Begleitung durch einen Therapeuten, damit die Trainingsmöglichkeiten überhaupt voll ausgeschöpft werden können. Wer an den Schön Kliniken robotergestützt mit den Patienten arbeitet, müsse daher zuvor eine mehrtägige Einweisung absolvieren. Und auch Chefarzt Müller betont: „Die Therapeuten sehen die Robotik nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung des therapeutischen Werkzeugkastens.“

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