Der Entwurf zur Reform der ambulanten Notfallversorgung ist da. Minister Jens Spahn hat das Papier Anfang Januar ins Parlament eingebracht, spiritus rector des Konzepts ist der Sachverständigenrat Gesundheit (SVR). Das Ministerium hat einige Teile des SVR-Konzepts abgeändert, doch einen folgenreichen Denkfehler lässt es unberührt: die Annahme des SVR, dass Kliniken und Fachärzte vor allem profitgetrieben sind, während niedergelassene Allgemeinärzte das Patientenwohl im Blick haben.
Mit den Integrierten Notfallzentren (INZ), deren Chefs die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sein sollen, manifestiert der Minister diese Denke im Gesetzentwurf. Er will eine Art KV-Riegel im Krankenhaus schaffen, und Kassenärzte behalten die Hoheit über die Planung. Die Kliniken bleiben Lückenbüßer. Geht man von 700 INZ aus, müssten die Kassenärzte bei einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung mehr als 3.000 Vollzeitstellen aus dem Boden stampfen. Schon jetzt ist absehbar, dass das nicht klappt. KBV-Vize Stephan Hofmeister kalkuliert bereits, dass nachts und an Wochenenden „Kollegen aus den Krankenhäusern einspringen“ könnten. Klinikärzte sind somit gleich doppelt die Dummen. „Sie haben fachlich nichts zu sagen, müssen aber die Personalknappheit ausgleichen“, wie Martin Pin, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin, treffend formuliert.
Auch für den Patienten ist die Reform kein großer Gewinn. Der KV-Riegel ist eine eigenständige Einheit, und von einer Verzahnung der ambulant-stationären Notfallversorgung, wie man sie aus anderen Ländern kennt, ist wenig zu erkennen. Die Tatsache, dass mit der KV eine Körperschaft und nicht ein Facharzt dem Notfallzentrum vorsteht, spricht außerdem Bände. Die in den zurückliegenden Jahren konstruktiv geführte Diskussion um die Aufwertung der Notfallmedizin wird damit ad absurdum geführt. Zudem werden die Krankenhäuser auch in Zukunft für den stationären Betrieb eigenständige Ambulanzen vorhalten müssen. Wie Notfälle, die dort landen, vergütet werden, ist eine von vielen Unbekannten.
Für Kliniken bleibt die Hoffnung, dass nichts so aus dem Parlament rausgeht, wie es reinkommt. Denn dieses Bonmot von Peter Struck gilt für Gesetze von Jens Spahn ganz besonders. Sein Politikstil ist durch Rückzieher und Volten gekennzeichnet. Er testet, was geht, bleibt aber pragmatisch. Es gibt dafür viele Beispiele, eines ist die nun ins Parlament eingebrachte Reform der Notfallversorgung: Erst lag der Sicherstellungsauftrag bei den Landeskrankenhausgesellschaften, dann bei den Ländern und nun doch wieder bei Kassenärzten. Den Rettungsdienst wollte Spahn erst unter Bundeshoheit stellen, nun bleibt er bei den Ländern. Es bleibt also die Chance, dass der Minister sich bei den INZ mit Argumenten umstimmen lässt. Wenn die Kliniklobby die KVen als Chefs der INZ verhindern will, muss sie allerdings auch eine Antwort auf die Frage finden, wie die Rolle des unabhängigen Gatekeepers besetzt werden kann. Denn Fakt ist, dass in Deutschland die Hälfte aller ambulante Notfälle im stationären Bereich landen. Das ist ein absoluter Spitzenwert.
Den Unmut der Kliniken über MDK, PPUG und Notfallversorgung hat der Minister übrigens wahrgenommen. Es heißt, Spahn wolle noch in diesem Jahr ein Krankenhausgesetz auf den Weg bringen.