Loyalität und Verbundenheit mit dem Unternehmen lassen sich nicht kaufen. Wer seinen Mitarbeitenden die Chance bietet, herauszufinden, wie sie sich am besten für den Arbeitgeber engagieren und ihre Stärken einbringen, gewinnt an Statur und Rückgrat. Ein Plädoyer für mehr echte Wertschätzung – und ein paar abschreckende Beispiele obendrauf.
„Autobauer müsste man sein, da erfährst du noch den nötigen Respekt.“ Als mich ein in der IT tätiger Freund auf die Ergebnisbeteiligung bei Mercedes-Benz aufmerksam machte, staunte ich nicht schlecht: Rund 93.000 Beschäftigte erhalten mit dem Aprilgehalt eine Rekordprämie in Höhe von bis zu 7.300 Euro. Als Dankeschön „für das herausragende Engagement und den persönlichen Einsatz“, so Personalvorständin Sabine Kohleisen. Die Bürokratie nimmt zu, Fachkräfte fehlen, die Versorgung wird aufwendiger. In der Bildung und Pflege weht ein anderer Wind.
Für die Italienerin Giuseppina Giuliano endet die Wertschätzung am Bahnhof. Werktäglich pendelt sie – nach eigener Aussage – von Neapel nach Mailand und zurück. Rund 650 Kilometer am frühen Morgen zu einer Kunstschule, in der sie als Schulverwalterin tätig ist. Nach Feierabend düst der Schnellzug mit ihr zurück in die Hauptstadt der Region Kampanien. Ein stressiges Leben für wenig Geld in der Tasche. 1.165 Euro Lohn stehen knapp 400 Euro für Bahntickets gegenüber, eine eigene Wohnung wäre da kaum drin, die Eltern unterstützen. Giuseppina liebt ihren Job und hätte doch mehr verdient als ein Schlafdefizit. In Italien gibt es bis heute keinen gesetzlichen Mindestlohn. Viele Menschen kämpfen, um finanziell mit eigener Kraft durchzukommen.
Irgendwie beruhigend, dass der Egomane Elon Musk nicht in der deutschen Gesundheitsbranche mitmischt. Betten für von der Arbeit übermüdete Mitarbeiter:innen gebe es zwar genügend, aber „klotzen oder kündigen“ als kleiner Motivationsschub ginge für ihn nicht auf. Deutschland tickt da anders und das ist auch gut so. Wer Respektlosigkeit mit Fürsorge verwechselt, sollte das Ego in der Garage lassen und seine Kündigung vom Führungsanspruch twittern. Zu ehrlicher Anerkennung zählen auch Zugewandtheit und wirkliches Interesse am Gegenüber.
Stil im Umgang mit Bewerbern
Ein befreundeter Pressesprecherkollege bewarb sich im Herbst 2022, zwischen Affenpockenimpfung, 9-Euro-Ticket und Energiepauschale, bei einem Spitzenverband, um die dortige Medien- und Kommunikationsarbeit zu verantworten. Während die Personalabteilung schnell und transparent kommunizierte, ließ der Geschäftsführer eine Stunde vor dem vereinbarten Vorstellungsgespräch über das Sekretariat wissen, dass er terminlich bedingt im Ausland festhänge und das Treffen kurzfristig verschoben werden müsse. Geschenkt, kann passieren.
Beim zweiten Anlauf saß der Bewerber zwar mit der Personalchefin im Konferenzraum, aber vom potenziellen Chef weiterhin keine Spur. Der ließ sich später immerhin per Video zuschalten, dafür ohne Bild. Auf der Leinwand lediglich die Initialen des Executive Chairman, dazu eine Tonqualität, als grabe sich der Entrepreneur durch die Sanddünen der Sahara. Gesucht wurde ein Allrounder, der alles abdeckt, sofort liefert, die Wochenenden opfert und keine Einarbeitung benötigt. Im Arbeitgeberjargon eine „herausfordernde und abwechslungsreiche Tätigkeit mit viel Gestaltungsfreiraum in einem angenehmen und dynamischen Arbeitsumfeld“.
Das im Vorgespräch angedeutete Team zur Unterstützung und Stellvertretung entpuppte sich als Zukunftsvision, das avisierte Eintrittsdatum als viel zu spät, da „wünsche man sich etwas Flexibilität und Bereitschaft zu einem früheren Wechsel“, ob es der aktuelle Arbeitgeber befürworte oder nicht. In der Stellenausschreibung schön umschrieben mit „volle Verantwortung für eigene Projekte – vom ersten Tag“ und ein „hohes Maß an Eigeninitiative und Belastbarkeit“. Um es vorwegzunehmen: Es kam zu keiner Hochzeit, die frisch Verlobten streiften die Ringe ab. Besser so, denn auch hier zeigte sich, dass einem schlechten ersten Eindruck oft ein noch üblerer zweiter folgt.
Aufrichtigkeit macht glücklich
Forscher der US-Universität Harvard knackten vor einiger Zeit den Code für ein glückliches Leben. Die Studie ließ wissen, wer eine einzige Entscheidung treffen wolle, um glücklich zu sein, sollte aufrichtige Beziehungen pflegen. Doch wie viel Aufrichtigkeit verträgt der Alltag? Sind wir im Job ungeschminkt ehrlich? Als Kommunikator begegnen mir viele Leute, die sich ihrer empathischen Stärken nicht bewusst sind. Sie treffen auf frustrierte Gegenüber, welche Models, Influencer und Sportprofis bejubeln, aber Bäcker, Krankenpfleger, Handwerker oder Landwirte belächeln. Berufe, die unser Land am Laufen halten.
Menschen wie Dr. Annelies Roloff. Im November 2022 wurde sie in Berlin mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland in der Stufe Verdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, da sie ein Leben lang für andere Menschen da war und ist. Die Medizinerin engagierte Sozialarbeiter:innen und richtete 2013 in ihrer Arztpraxis eine Sozialberatung ein. Gemeinsam mit dem Verein „Soziale Gesundheit“ bot sie damit die deutschlandweit erste arztpraxisinterne Sozialberatung mit „Case und Care Management“ an. Das Konzept machte Schule. Heute wird der Verein von der Stiftung „Deutsche Klassenlotterie Berlin“ gefördert und ist in neun Hausarztpraxen in Berlin präsent. Mit der Kombination aus medizinischer Behandlung und sozialer Betreuung übernahm Dr. Annelies Roloff eine Vorreiterrolle und entwickelte ein innovatives Bild für die Arztpraxis der Zukunft.
Mit Herzblut bei der Sache sind auch die Mitarbeitenden im Evangelischen Krankenhaus Castrop-Rauxel. Im Dezember 2022 wandten sie sich in anonymen Briefen an die Redaktion der Ruhr Nachrichten und schütteten ihr Herz aus zum Pflegenotstand, zur Personalsituation, zum Coronabonus. Stellvertretend für viele Kolleg:innen wünschten sie sich mehr Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Ein kleines Dankeschön als steuerfreie Sachzuwendung ersetzt eben nicht den persönlichen Austausch. Gefragt sind flache Hierarchien, die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, eine gute Work-Life-Balance und ansprechbare Vorgesetzte. Der vorbildliche Umgang mit konstruktiver Kritik zeigt sich auch in der zeitnahen und verständlichen Beantwortung von Arbeitnehmerbewertungen auf den bekannten Portalen.
Stille Kündigung belastet Teams
Apropos ausgewogenes Arbeits- und Privatleben: Immer öfter höre ich von „Quiet Quitting“, von stiller Kündigung, und neuem Dienst nach Vorschrift. Nur das Nötigste arbeiten, nur das leisten, für das man bezahlt wird. Überstunden und freiwillige Zusatzaufgaben werden gänzlich abgelehnt, wenn Unzufriedenheit am Arbeitsplatz herrscht. Eine repräsentative Umfrage des Karriereportals Monster in Zusammenarbeit mit YouGov Deutschland zeigte im November 2022 auf, dass Quiet Quitting die Teamkultur belaste, da bei einem Aufeinandertreffen von überdurchschnittlich motivierten Mitarbeitenden (High Performern) und konstant unter den Erwartungen und Durchschnittsleistungswerten liegenden Kolleg:innen (Low Performern) die Arbeitslast automatisch ungleich verteilt wird.
Es ist eben auch eine Frage der Wertschätzung, wie ich mit meinen Kolleg:innen umgehe. Von Lob und Anerkennung profitieren beide Seiten, auch die Führungskraft – mit dem Finger am Puls der Belegschaft – freut sich ab und zu über ein konstruktives Feedback als Antriebsmotor für ein respektvolles Miteinander. Die Antenne muss funktionieren, sonst schleicht sich ein nerviges Störgeräusch ein, das sämtliche gut gemeinten Benefits schnell ins Straucheln bringt.
Der Chef eines chinesisches Mischkonzerns, Li Jinyuan, leerte 2015 wohl mehr als die Portokasse und lud die Hälfte der Belegschaft, rund 6.400 Beschäftigte (ja, richtig gelesen) zu einem Abstecher nach Frankreich ein. Geschätzte 13 Millionen Euro Kosten für etwa 140 Hotels und Tausende Zimmer in Cannes und Monaco – ohne Moos nichts los! Oder wie Elon Musk im Frühjahr 2022 gegenüber der „Financial Times“ schwärmte: „Sie schuften nicht nur um Mitternacht, sondern auch um drei Uhr morgens, sie verlassen nicht einmal die Fabrik.“
Loyalität und Verbundenheit mit dem Unternehmen lässt sich nicht kaufen. Wer seinen Mitarbeitenden die Chance bietet, herauszufinden, wie sie sich am besten für den Arbeitgeber engagieren und ihre individuellen Stärken einbringen – auch abseits des ursprünglichen Stellenprofils –, der gewinnt nicht nur an Statur, sondern vor allem an Rückgrat bei der Belegschaft.