Vorstandsvorlage

Rückepferde statt großer Wurf

  • Politik
  • Management
  • 27.01.2022

f&w

Ausgabe 2/2022

Seite 140

Markus Horneber

Klingt eigentlich alles ganz plausibel, was ab Zeile 2642 zu Pflege und Gesundheit im Koalitionsvertrag steht. Da gibt es auf den ersten Blick inhaltlich wenig zu kritisieren. Viele Themen, die uns als Verantwortliche seit Langem bewegen, finden wir hier haarklein aufgezählt.

Auf den zweiten Blick hat mich dann doch etwas Beklemmung beschlichen, und mir war eine Zeitlang nicht recht klar, warum eigentlich. Klingt doch alles gut, sehr konkret. Sogar von Bürokratieabbau ist die Rede! Und den wollen wir alle doch schon seit Langem! Also: noch mal einsteigen, alles durchlesen, am besten sogar den gesamten Koalitionsvertrag.

Dabei bin ich dann auf die Rückepferde gestoßen, auf die die Saatdrohnen folgen (Zeile 1229). Irgendetwas läuft da schief: zahllose gut gemeinte Ideen von ambitionierten Politiker:innen. Hier eine Verbesserung und dort eine Erweiterung, zum Beispiel die Einführung eines trägereigenen Springerpools (Zeile 2699) oder die Gründung von kommunal getragenen Medizinischen Versorgungszentren (Zeile 2812). Ich frage Sie, geneigte Leser:innen: Muss das alles in einem Koalitionsvertrag festgelegt werden? Sollen Verordnungen künftig die Mikroebene regeln und immer noch stärker in unser operatives Geschäft eingreifen? Finden wir im Koalitionsvertrag nicht zahlreiche Themen, die die Selbstverwaltung und die zahllosen Akteure im Gesundheitswesen selbst gestalten können? Haben die Ampelparteien so wenig Vertrauen uns gegenüber oder ist da irgendetwas mit ihnen durchgegangen? Seit über 160 Jahren machen zum Beispiel wir in der Diakonie einen guten Job; seinerzeit dachte noch niemand aus der Politik ans Gesundheitswesen! Eins ist gewiss: Die detailliert beschriebenen Einzelideen werden Regulatorik und Komplexität ebenso weiter befördern, wie Omikron die Pandemie. Und zugegebenermaßen beschleicht mich der Verdacht, dass wir jetzt die von der Politik verursachte Misere (unter anderem unzureichende Finanzierung unserer tariflichen Vergütung, Finanzierungskrater bei den Investitionen, keine Anschlussfinanzierung der enormen Folgekosten aus dem KHZG) auslöffeln sollen. Ein böses Schwarzer-Peter-Spiel!

Die Rückepferde sind symptomatisch für den Politikstil unserer Zeit: Die Ampelpartner beschreiben nicht das Big Picture, die großen Ziele oder die gewünschten Wirkungen. Sie überlassen es nicht uns, im steten Ringen um gute Medizin und Pflege den besten Weg zur Zielerreichung zu finden. Nein, sie schreiben uns auch künftig im Detail vor, was wir zu tun oder zu lassen haben. Inzwischen arbeiten bei uns schon sechs Mitarbeiter:innen daran, den Gesetzes- und Verordnungstsunami für unsere Geschäftsführer:innen aufzubereiten. Tendenz epidemisch steigend.

Schade, dass die Chance vertan wurde, das überkomplexe Gesundheitssystem mit den zahllosen, aus sehr nachvollziehbaren Gründen Eigeninteressen optimierenden Akteuren grundlegend zu reformieren. Schade, dass Vertrauen durch weitere bürokratische Regulierung ersetzt wird. Und schade, dass wir sehr viel Zeit damit verbringen müssen, die inzwischen haarklein ausziselierten Pflegepersonaluntergrenzen, die Strukturvorgaben, die täglich changierenden Coronadokumentationspflichten et cetera pp zu erfüllen, statt uns um die Behandlung von Patient:innen zu kümmern. Von der strategischen Weiterentwicklung unserer Häuser, von Innovationen ziemlich zu schweigen. Vielleicht hilft den Koalitionären ein kleiner Blick in die Vergangenheit: Staatliche Detailregulierung korreliert negativ mit Angebotsvielfalt und Qualität. Fazit: Optimieren im bestehenden System, statt einmal out of the box zu denken. Viele Rückepferde, aber kein großer Wurf.

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