Die AG Gesundheit, in der SPD, Grüne und FDP konkrete Vorhaben einer möglichen Koalition aushandeln, hat ihre gesundheitspolitische Agenda formuliert: Der Bund soll bei der Krankenhausplanung mitfinanzieren und PPR 2.0 soll sofort kommen. Insgesamt finden sich wesentliche Punkte des Wahlprogramms der Grünen in dem Papier. In dem sechs Seiten langen Schriftstück versprechen die drei Parteien den „Aufbruch in eine moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik“. Eine wichtige Rolle nimmt die Pflege ein.
Pflege & Ärzte: DPR und Pflege werden aufgewertet
„Kurzfristig führen wir zur verbindlichen Personalbemessung im Krankenhaus die PPR 2.0 als Übergangsinstrument mit dem Ziel eines bedarfsgerechten Qualifikationsmixes ein”, heißt es in dem Papier. Auch in der stationären Langzeitpflege wollen die Parteien das bestehende Personalbemessungsverfahren ausbauen. Die Gehaltslücke zwischen Kranken- und Altenpflege wollen die potenziellen Koalitionäre schließen und den Pflegeberuf insgesamt attraktiver machen, „etwa mit Steuerbefreiung von Zuschlägen, durch die Abschaffung geteilter Dienste, die Einführung trägereigener Springerpools und einen Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten“.
Die Ampel-Parteien stellen einheitliche Berufsgesetze für Pflegeassistenz, Hebammenassistenz und Rettungssanitärer in Aussicht, außerdem wollen sie das Berufsbild „Community Health Nurse“ einführen. Die Berufsabschlüsse ausländischer Fachkräfte sollen schneller und unbürokratischer als bisher anerkannt werden. Den Deutschen Pflegerat (DPR) wollen die Parteien deutlich aufwerten: Er soll finanziell unterstützt werden und eine Stimme im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bekommen. Über die Zukunft der umstrittenen Pflegekammern soll unter anderem eine bundesweite Befragung aller Pflegekräfte entscheiden. Über die zweite große Berufsgruppe im Krankenhaus, die Ärzte, steht eher wenig in dem Papier: Die Mittel für die ärztliche Weiterbildung in den Fallpauschalen sollen künftig nur an die Kliniken anteilig ausgezahlt werden, die weiterbilden.
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Krankenhausplanung: Der Bund will mitreden
Die Reform der Krankenhausplanung soll in einem Bund-Länder-Pakt angeschoben werden. „Eine kurzfristig eingesetzte Regierungskommission wird hierzu Empfehlungen vorlegen und Leitplanken für eine auf Leistungsgruppen und Versorgungsstufen basierende und sich an Kriterien wie der Erreichbarkeit und der demographischen Entwicklung orientierende Krankenhausplanung erarbeiten.“ Die Krankenhausfinanzierung soll um ein nach Versorgungsstufen (Primär-, Grund-, Regel-, Maximalversorgung, Uniklinika) differenziertes System von Vorhaltepauschalen ergänzt werden. In Bundesländern, deren Krankenhausplanung auf diesen Leitplanken beruht, übernimmt der Bund einen Teil der Investitionsfinanzierung. Außerdem soll der Innovationsfonds verstetigt werden.
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G-BA: Schnellere Verfahren
Mit einer Reform des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA) sollen Entscheidungen der Selbstverwaltung beschleunigt werden. Patientenvertretung und die Pflege sollen stärkere Mitspracherechte bekommen.
Ambulantisierung: Hybrid-DRG
Um die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen zu fördern, wollen die Ampel-Parteien eine sektorengleiche Vergütung mit Hybrid-DRG einführen – eine Idee, die vor allem die Krankenkassen seit Jahren fordern. Durch den Ausbau integrierter Gesundheits- und Notfallzentren soll eine wohnortnahe Versorgung „durch spezifische Vergütungsstrukturen“ gefördert werden. Zudem sollen bevölkerungsbezogene Versorgungsverträge (Gesundheitsregionen) einfacher möglich werden. Dafür will das Parteien-Trio den gesetzlichen Spielraum für Verträge zwischen Kassen und Leistungserbringern erweitern. In besonders benachteiligten Kommunen und Stadtteilen sollen niedrigschwellige Beratungsangebote (Gesundheitskioske) für Behandlung und Prävention errichtet werden. Im ländlichen Raum soll es mehr Gemeindeschwestern und Gesundheitslotsen geben. Insgesamt soll eine sektorenübergreifenden Versorgungsplanung entstehen.
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Notfallversorgung: Neues Konstrukt für den Sicherstellungsauftrag
Die ambulante Notfallversorgung sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und Kliniken in integrierten Notfallzentren „in enger Zusammenarbeit“ organisieren. Im Papier heißt es: „Wir räumen den KVen die Option ein, die ambulante Notfallversorgung dort selbst sicherzustellen oder diese Verantwortung in Absprache mit dem Land ganz oder teilweise auf die Betreiber zu übertragen.“ Die Rettungsleitstellen sollen mit den KV-Leitstellen verzahnt und mit einem standardisierten Einschätzungssystem ausgerüstet werden.
MVZ: Landesbehörden sollen mitreden
Die potenziellen Koalitionäre wollen die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich aufheben. Die Gründung kommunal getragener Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) soll einfacher werden. Entscheidungen des Zulassungsausschusses müssen künftig durch die zuständige Landesbehörde bestätigt werden.
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Pädiatrie und Geburtshilfe: Kurzfristig auskömmliche Finanzierung
SPD, Grüne und FDP wollen mögliche Fehlanreize rund um Spontangeburten und Kaiserschnitte evaluieren und einen Personalschlüssel für eine 1:1-Betreuung durch Hebammen während wesentlicher Phasen der Geburt einführen. Hebammengeleitete Kreißsäle sollen gefördert werden. Weiter heißt es in dem Papier: „Kurzfristig sorgen wir für eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie, Notfallversorgung und Geburtshilfe.”
Psychiatrie: Bedarfsgerechte Personalausstattung
Die drei Parteien wollen psychische Erkrankungen mit einer Aufklärungskampagne entstigmatisieren. Die ambulante psychotherapeutische Versorgung für Patienten mit komplexen Erkrankungen soll verbessert werden und im „stationären Bereich sorgen wir für eine leitliniengerechte psychotherapeutische Versorgung und eine bedarfsgerechte Personalausstattung”, heißt es in dem Papier.
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GKV: Regelhafter Bundeszuschuss für Kassen
Den Bundeszuschuss zur GKV „dynamisieren wir regelhaft“, schreiben die Parteien. Kassen sollen die Möglichkeit erhalten, ihren Versicherten verstärkt monetäre Boni für die Teilnahme an Präventionsprogrammen zu gewähren. Außerdem sollen die Möglichkeiten der Krankenkassen, Beitragsmittel für Werbemaßnahmen und Werbegeschenke zu verwenden, reduziert werden. Generell sollen die Kassen ihre Service- und Versorgungsqualität anhand von einheitlichen Mindestkriterien offenlegen. In der PKV soll die Mindestbemessung für freiwillig Versicherte auf Minijobhöhe sinken. Menschen mit ungeklärtem Versicherungsstatus sollen Zugang zur Krankenversicherung erhalten.
Digitalisierung: Ein „Bürokratieabbaupakt“
In der Pflege- und Ärzteausbildung sollen digitale Kompetenzen eine größere Rolle spielen. Außerdem soll die Digitalisierung zur Entlastung bei der Dokumentation beitragen. Weiter heißt es in dem Papier: „Wir ermöglichen regelhaft telemedizinische Leistungen inklusive Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen sowie Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und die telenotärztliche Versorgung.“ Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und die Anbindung aller Akteure im Gesundheitswesen wollen die Parteien beschleunigen. Die Gematik will das Trio zu einer digitalen Gesundheitsagentur ausbauen. Außerdem kündigen die Parteien einen Bürokratieabbaupaket an: „Wir durchforsten das SGB V und weitere Normen nach auch durch technischen Fortschritt überholten Dokumentationspflichten.“
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Bei Behandlungsfehlern soll die Stellung der Patienten gestärkt und ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen eingeführt werden. Erwachsene sollen Cannabis zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften kaufen können.